Bewegung und psychische Gesundheit

 

Unser Gehirn ist das leitende Organ unseres Nervensystems. Es verarbeitet Sinneseindrücke/Inputs/Afferenzen, welche über körpereigene Rezeptoren wahrgenommen und über Nervenbahnen ins Gehirn geleitet werden, und generiert Outputs/Efferenzen, also alle unsere Bewegungen und Handlungen.

 

Inputs erfolgen über die Reizung unserer Sinne. Diese werden eingeteilt in Fernsinne und Nahsinne:

  • Die Fernsinne ("Fern"sinne, da sie sich nach außen orientieren) sind diejenigen Sinne, deren Wahrnehmungen für unser Bewusstsein meist leicht fassbar sind. Zu ihnen gehören das Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Tasten.
  • Die Nahsinne ("Nah"sinne, da sie mit Vorgängen im Menschen beschäftigt sind) hingegen sind nicht so leicht zu erfassen. Sie sind zuständig für die Erhaltung und Wiederherstellung des Gleichgewichts (Vestibularsinn), die Wahrnehmung der Stellung des Körpers im Raum, der Muskelspannung, der Gelenksstellung, das Empfinden von Druck, Reibung, Temperatur. Diese Sinne werden auch Tiefensensibilität, Stellungssinn, Bewegungssinn, Kraftsinn, Kälte- und Wärmesinn etc. genannt und ihre Rezeptoren liegen in verschiedenen Hautschichten und im Muskelgewebe. Die Reizung dieser Sinne und das Bewusstmachen dieser Reize stehen laut neurologischer Forschungen in einem engen Zusammenhang mit dem Erleben der Gefühle und dem Entstehen eines gesunden Selbstbewusstseins. Somit ist die Nahrung in Form von diesen Reizen die Grundlage für unsere Aktivität und Kreativität und folglich unabdingbar für die Prophylaxe und Heilung von Depressionen.

 

Für die Verarbeitung der Sinneseindrücke verwendet unser Gehirn folgende Strukturen:

 

Linke und rechte Großhirnhemisphäre, Kleinhirn, Hirnstamm, Rückenmark und eine Anzahl von Nerven, die die verschiedenen Körperabschnitte erreichen. Diese Nerven leiten mittels elektrischer Impuls Informationen vom Körper zum Hirn (Sensorik) und vom Hirn zum Körper (Motorik). Aber erst durch die Betätigung aller unserer Sinne werden die Nervenverbindungen in Gehirn und dem restlichen Nervensystem verknüpft. Die wichtigste Phase für die Bildung dieser Verknüpfungen ist das Babyalter, doch ist unser Hirn unser ganzes Leben lang abhängig von Sinneseindrücken, von denen es sich ernährt.

 

Leider wird häufig vergessen, dass unsere Nahsinne nur durch Bewegung angeregt werden können, sodass die körperliche Tätigkeit ebenso notwendige Inputs herbeiführt wie sie durch beispielsweise unseren Sehsinn, unser Gehör oder unseren Geruchssinn zum Gehirn gelangen. In all unseren Körperteilen sitzen Rezeptoren, die uns über die Stellung unseres Körpers und unsere Umwelt informieren. Bewegen wir uns zu wenig, verlernt der Körper die Eindrücke, die von den Nerven an das Gehirn weitergeleitet werden, richtig zu lesen und zu verarbeiten. Außerdem „verhungert“ das Gehirn, da es keine neuen Inputs erhält, welche unsere Lebensaktivität aufrecht erhalten.

 

Somit liegt folgende Schlussfolgerung nah:

Unser Gehirn benötigt möglichst vielfältige Sinneseindrücke, um die Verbindungen zwischen Nerven zu aktivieren und aufrecht zu erhalten. Eingefahrene Gefühls- und Denkstrukturen können durch wieder aktivierte Nervenverbindungen aufgeweicht werden. Um die eigenen Ressourcen ausnützen zu können, müssen wir unser Nervensystem verschiedensten Situationen aussetzen, wir müssen uns selbst fordern. Bewegung und Sport bieten dazu ein sehr komplexes Reizmuster, das viele Gehirnareale gleichzeitig stimuliert.

 

 

 

Konkrete Auswirkungen von Bewegung und Sport auf die psychische Befindlichkeit

 

 

Verschiedenste sportwissenschaftliche Forschungen belegen positive Auswirkungen auf psychische Befindlichkeiten der Untersuchungsteilnehmer:

  • Absinken der Depression und der Ängstlichkeit
  • Deutlich verbesserte Stimmung nach den Sporteinheiten für den ganzen restlichen Tag sowie häufig auch noch am Morgen danach
  • Zum positiven verändertes Gesundheitsverhalten. Geringerer Bedarf an Schlaftabletten und geringerer Alkoholkonsum
  • Steigerung der Motivation zu selbständiger sportlicher Betätigung
  • Verbesserte Schlafqualität
  • Kontrollüberzeugung stieg an („Ich hab mein Leben selbst in der Hand“)

Bei anderen Untersuchungen zeigte sich neben der Bestätigung der eben genannten Ergebnisse, dass

  • der Effekt der Sporttherapie mit der Dauer der Anwendung steigt
  • die Kombination von Training und Psychotherapie am wirkungsvollsten zu sein scheint
  • Sport einen größeren Effekt zeigt als freudvolle Betätigung ohne Bewegung

 

 Ursachen der positiven Wirkung von Bewegung

 

 Die Ursachen der therapeutischen Wirkung von Sport müssen sowohl in physiologischen als auch psychologischen Prozessen gesucht werden:

 

Physiologische Prozesse:

  • Veränderungen im Gehirn:
  • Wirkung auf Neurotransmitter: Erhöhte Ausschüttung von Katecholaminen: Katecholamine sind Neurotransmitter, also solche Stoffe, die die Reizweitergabe zwischen zwei Nerven ermöglichen. Bei Depressionen ist ein Defizit dieser Katecholamine feststellbar. Sport bewirkt eine erhöhte Ausschüttung von Katecholaminen und wirkt somit ähnlich wie viele Antidepressiva. (Bsp. Joggen: vergleichbar mit Einnahm einer geringen Dosis Fluoxetin (serotoninhaltiges Med. gegen Depression))
  • Sport führt darüber hinausgehend zu Gleichgewicht der Neurotransmitter
  • Bewegen wir uns, aktivieren wir für kognitive Fähigkeiten wichtige Hirnregionen und verfestigen die Verbindungen der Neuronen (Verbesserung der Reizweiterleitung und des Zusammenspiels mehrere Neuronen) in diesen Regionen
  • sportliche Betätigung bewirkt, dass sich Neuronen vermehren: BDNF-Spiegel wird durch Bewegung erhöht und steigt weiter mit Dauer der Bewegung. Dadurch wird Lernen gefördert, da im Gehirn für das Lernen eine förderliche Umwelt geschaffen wird. Lernen ist Problemlösen. (BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor). Dienen der Aufrechterhaltung der neuronalen Schaltkreise. BDNF kommt im Hippocampus vor, einer fürs Lernen und Erinnern wichtigen Hirnregion. Sind Neuronen dauernd in Aktion werden die Gene des Zellkerns angekurbelt, neues „Baumaterial“ zu produzieren. wie bei Baum: neue dentritische Verästelungen entstehen. Dafür ist BDNF zuständig. BDNF ist gesammelt in Reservepools in der Nähe der Synapsen und wird freigesetzt, wenn sich die Herzfrequenz erhöht und Kreislauf in Schwung kommt)
  • Probleme lösen zu können erfordert Kreativität und kognitive Flexibilität – beides wird laut vieler Studien durch Bewegung erhöht!
  • Endorphinausschüttung: Endorphine sind körpereigene, opiumähnliche Substanzen mit folgender Wirkung: Heben der Stimmung und geringere Schmerzempfindlichkeit.
  • Thermo-Regulation: Die erhöhte Körpertemperatur als Folge körperlicher Belastung intensiviert Stoffwechsel und wirkt auf Sinnesrezeptoren.
  • tonische Veränderungen: Ausdauertraining und auch Krafttraining führen zu einem geringeren Spannungszustand im Körper.

 

Psychologische Auswirkungen von Bewegung:

  • Entspannung: körperlicher Betätigung folgt das Gefühl der Ermüdung und Entspannung. Dieses Gefühl fördert die antidepressive Wirkung.
  • Erfolgserlebnis: Aufgaben werden bewältigt, Ziele erreicht (wichtig ist dafür natürlich das Stecken leicht zu erreichender Ziele!)
  • Stärkung der Kontrollüberzeugung: Der Mensch nimmt sich im Sport als autonom handelndes Wesen dar, da er ganz ohne die Hilfe anderer etwas für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit tut. Außerdem kann er Fortschritte erkennen, die ihm zeigen, dass die Arbeit an etwas Früchte trägt. Der Sport hilft somit Ohnmachtsgefühle oder Gefühle des Ausgeliefert-Seins zu überwinden.



Literatur:

  • Stelzig, Manfred: Keine Angst vor dem Glück, Salzburg 2008
  • Rebell, Walter: Psychologisches Grundwissen. Neukirchen-Vluyn 2008
  • Ratey, John R. und Hagerman, Eric: Superfaktor Bewegung, New York 2008
  • Baumann, Christoph: Sport und Depression. Möglichkeiten des Sports in Therapie und Prävention von Depressionen, Innsbruck 2001