Gedanken und Texte

Wenn ich Priesterin wäre...

Im folgenden Text spreche ich als eine von vielen in der katholischen Kirche tätigen Seelsorgerinnen. Wir werden trotz unseres spirituellen Wirkens immer noch als Laien und Assistentinnen bezeichnet, den Weg zur Diakonin oder Priesterin zu beschreiten, bleibt uns untersagt. Es stellt sich für mich die Frage, ob dies nicht als Anlass gesehen werden sollte, das Bild von Priester:innenschaft neu zu malen.


Wenn ich Priesterin wäre, würde ich morgens, nach dem Aufstehen, mit den Hunden ins Freie gehen und den Himmel grüßen. Mit Bewegungen, mit Barfuß-Schritten im nassen Gras, mit Atemzügen. Mit einem Danke für Gottes Dasein. Und der Bitte um die Wahrnehmbarkeit dessen und um Gottes Schutz für meine Lieben an diesem Tag.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich meinem Mann dafür danken, dass er währenddessen das Frühstück bereitet hat. Und ich würde unsere Kinder vom Tagesbeginn ins Ohr flüstern.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich mit dem Rad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Um die Umwelt zu schonen und um mit der Natur in Verbindung und mit mir in bewegter Beziehung zu sein. Manchmal würde ich auch während des Radfahrens Gebete denken.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich vor dem Öffnen der Tür zum Krankenhaus, zum Büro oder Krankenzimmer beten: Ruah (alttestamentlicher Name für den Atem, die Geistin Gottes), beseele mein Schweigen, Ruah, beseele meine Worte, Ruah, lebe in mir.

In den Begegnungen mit meinen Mitmenschen würde ich ihnen Aufmerksamkeit schenken. Ich würde versuchen, sie zu verstehen ("Höre nicht zu, um zu antworten, sondern um zu verstehen" - Spruch aus einem Kalender). Ich würde mich bemühen, liebe-voll zu sein. Nach den Gesprächen würde ich die Momente der Verbundenheit mit den Gesprächspartner:innen wertschätzen. Angesprochene oder wahrnehmbare unlösbare Probleme, Ungereimtheiten, Lebensthemen, Leidensschilderungen würde ich beim nächsten Besuch der Krankenhauskapelle, im Krankenhausgarten oder am Weg vor G-tt legen.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich vor dem Mittagessen still für dieses danken.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich Menschen ins Leben hinein und im Sterben begleiten. Ich würde Leben und Tod begegnen und beider Vollständigkeit im je anderen wissen.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich versuchen, während meiner Arbeitszeit Minuten der Stille einzulegen, um mein Wirken bewusst in G-ttes Hände zu legen. „Jedes Schweigen und auch alles, was du sagst, sollte aus der Stille kommen“ (David Steindl-Rast)

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich für meine Leitung spiritueller Gruppen um G-ttes Wirken bitten, genauso wie für mein Vorstehen größerer liturgischer oder kleiner Kommunion-Feiern am Krankenbett. „Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, dann bin ich mitten unter ihnen“ 

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich mit dem Rad und öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren. Ich würde versuchen, meine Verantwortung im Beruf am Weg so weit hinten zu lassen, sodass ich mich gut auf meine Familie und die Verantwortung daheim einlassen kann.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich meine Unzufriedenheiten und Unvollständigkeiten vor G-tt legen. Sie fragen, welche Lücken zu füllen ich fähig und aufgefordert bin. Was es so zu lassen gilt, wie es ist. Welche Unzufriedenheiten ungerechtfertigt sind. Welche Ansprüche an mich selbst überzogen sind. Ich würde auf Antworten vertrauen, ob sie nun am selben Tag oder viel später kommen.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich Mensch sein. Meine Fehler begehen. Sie zu erkennen suchen, sie rechtfertigen wollen, mit ihnen verhandeln, sie G-tt erklären (auch wenn G-tt das nicht braucht, aber ich brauche es), verzweifeln, still werden, atmen, um Verzeihung bitten, umarmen, nach der Liebe in mir und nach Wegen zu mir suchen. Diese nicht finden. Oder eben doch.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich während des Kochens an Martas Lebensweise denken. Dass es nicht darum gehe, vita contemplativa gegen vita activa auszuspielen. Mit G-tt in Beziehung zu sein bedeutet nicht, dem Leben zu entsagen und letztlich G-tt nur in der Stille, der Meditation, der Kontemplation zu suchen. In jeder Arbeit, jedem Werk, jeder Handlung, jedem Nichtstun ist G-ttes Angebot nach Begegnung zu entdecken.

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich laufen, schwimmen, radfahren, bergsteigen, klettern, turnen und dabei voll bei Sinnen zu sein versuchen. 

 

Wenn ich Priesterin wäre, würde ich vermeiden, das Smartphone ständig in meiner Nähe zu haben.

 

Wenn ich Priesterin wäre, wäre ich abends müde. Ich würde mir wünschen, mehr geschafft zu haben oder an diesem Tag noch Kraft für übersehenes Leben und Liegengebliebenes zu haben. Ich würde gemeinsam mit meinem Mann unsere Kinder vor dem Zu-Bett-Gehen segnen. Ich würde mich hoffentlich danach auf den Boden legen, in meinen Körper hineinspüren, eventuell Bewegungen kommen lassen, Yoga, Kräftigungs- und Dehnungsübungen nach Belieben und Befinden machen. Momente der Stille zulassen. „“G-tt, du bist da. G-tt ich bin da. G-tt, es ist schön, wenn du mir die Tür zu dir öffnest und ich es schaffe hindurchzugehen“ beten.

 

Und schließlich würde ich zu meinem Mann gehen, falls er nicht schon neben mir auf dem Boden liegt, ebenfalls in Bewegung oder meditierend. Wir würden uns fragen, was heute noch und am kommenden Tag anstünde, wie es uns gehe. Wir würden es uns auf der Couch gemütlich machen, mit Netflix oder einem Buch. Und dann, im Bett, wenn wir schlafen gehen, würden wir uns sagen, dass wir uns lieben, und einander füreinander danken.

 

 

Ich darf nicht sagen, dass ich Priesterin bin, da es in der katholischen Kirchen Frauen untersagt ist, Priesterin zu sein. Doch dürfte ich Priesterin werden, ja dann würde ich wahrscheinlich Vieles so machen wie jetzt. Alles oben Genannte sind Auszüge, Bemühungen und Tatsachenberichte aus meinem derzeitigen Leben.

 

Ich fühle mich verbunden mit G-tt, der Unnennbaren. Oft. Oft auch nicht. Beides, das Gefühl der Verbundenheit und das Gefühl der Entbundenheit führen mich hin zu dem, was es heißt Mensch zu sein in ihrem Licht. Ich begleite Menschen. Ich begegne Menschen in der Gewissheit, dass in ihnen und in unserer Begegnung Göttliches präsent ist. Es bedeutet mir viel, Menschen, die sich mir anvertrauen, das Gefühl der unbedingten Wertschätzung, der Würde und des Geliebt-Seins zu geben - als Ahnung für unser Geliebt-Sein durch G-tt.  Ich sehe es als meine Aufgabe, mich um das Seelische, das Licht in jedem Menschen, um Ruah, um spirituelle, leib- und seelsorgliche Nahrung zu sorgen.

 

Ich bin Seelsorgerin und spüre darin meine Berufung.

 

Dürfte ich Priesterin sein, würde ich wohl ebenso sagen: Ich spüre meine Berufung zur Priesterin.  

Widerstand der Augen-Blicke

Ich träume…

…von einem Widerstand der Augen-Blicke.

 

Soldaten unterschiedlicher Lager blicken sich in die Augen.

In den Augen des Anderen entdecken sie das Leid, das ihrem eigenen gleicht.

Die gleiche Angst. Der gleiche Stolz. Das gleiche Heimweh.

Sie lassen die Waffen sinken.

Ein Moment der Stille kehrt ein.

Sie weinen.

Seine Tränen sind auch meine Tränen, denken sie.

Sie stellen sich einander vor. Das Gegenüber hat einen Namen.

Sie reichen sich die Hände.

Und sie entschließen sich, nicht weiterzukämpfen.

Vielmehr wollen sie ihren Kameraden von diesem Augen-Blick erzählen.

Wird der Keim aufgehen?

 

Ich träume…

…von einem Widerstand der Augen-Blicke…

 

 

Die Haltung der Hoffnung - Predigt vom 1. Adventsonntag (Lk 21,25-28.34-36)

Am Himmel zeichnet sich ein nahendes Gewitter ab. Angetrieben durch einen erst schwachen, dann stärker werdenden Wind, der immer mehr in einen Sturm übergeht, kommt die Front auf uns zu. Der Horizont ist dunkel und auch der Himmel über uns schwärzt sich ein. Die Bäume beginnen, sich zu biegen, es rauscht und raschelt, man hört ein Klappern und ein Pfeiffen. Was, bitte was kommt da auf uns zu? Wird es Verwüstung geben? Wird es Verletzte geben?

„Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.“

Eine Gewitterfront kann Angst machen. Auch die derzeitige Situation in unseren Krankenhäusern und die Situation auf den Straßen, auf denen gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert wird, kann Angst machen. Vielleicht stellen auch Sie sich die Frage, wie auch ich sie mir oft stelle: Was kommt da auf uns zu? Wohin führt das alles?

Möglicherweise neigen auch viele von Ihnen dazu – so wie auch ich – sich von diesen fragenden, manchmal auch ängstlichen Gedanken einnehmen zu lassen und sich resignativ und ernüchtert dem Schicksal zu ergeben oder auch mit einer ständig im Inneren nagenden Angst durch das Leben zu gehen.

„Die Menschen werden vor Angst vergehen…“ So steht es heute im Evangelium. Also nicht das, was kommt, ist der Grund für das Vergehen der Menschen, sondern die Angst davor? Hm. Das gibt mir zu denken.

Ich glaube, es stimmt. Wie oft hat mir die Angst schon ein Schnippchen geschlagen. Wie oft hat sich die Angst verselbständigt und in meiner Gedankenwelt eine mögliche Gefahr zu einer realen Gefahr gemacht, der zu entrinnen unmöglich schien. Dabei war die Wahrscheinlichkeit, dass wirklich etwas Schlimmes passiert, gar nicht so groß.

„denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden“. Was sind die Kräfte des Himmels? Das, was nach einem Gewitter so oft beobachtbar ist, ist diese heilvolle Klärung. Die Luft wirkt wie neu gereinigt, der blaue Himmel wird in neuer Frische sichtbar, die Sonne blitzt zwischen den Wolken hervor.
Wenn die Kräfte des Himmels erschüttert sind, ist unser Vertrauen in diese Klärung erschüttert und die Angst hat sich unserer bemächtigt. Es ist ein unheilvoller Zustand, da drinnen in dieser Angst.

Auch heute ist die Gefahr gegeben, dass wir Angst bekommen. Angst, dass die pandemische Situation nicht so schnell in den Griff zu bekommen ist und viel zu viele Menschen an Covid sterben. Angst, dass die Gräben in unserer Gesellschaft so groß werden, dass sie auch am Ende dieser Krise unüberwindbar scheinen und dass Beziehungskonflikte oder gar -abbrüche durch unterschiedliche Ansichten zu Impfung und Co nicht so schnell beiseite zu legen sind. Es sind ernst zu nehmende Ängste, die sich da in unserer heutigen Situation zu Wort melden.

Trotzdem: Jesus macht uns da mit seiner Rede zu seiner Gefolgschaft mit einem sehr besonderen Bild Hoffnung. Genau in dem Moment, in dem die Kräfte des Himmels erschüttert werden, also genau dort, wo die Hoffnungslosigkeit um sich gegriffen hat oder wir uns von ihr in Besitz nehmen haben lassen, genau „dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit“.

Um sich von diesem Kommen des Menschensohnes auch wirklich beeinflussen lassen zu können, braucht es aber noch etwas: „Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter“. Wir müssen also schon wirklich hinsehen. Wir müssen unsere ängstliche und gebeugte Haltung verlassen, und uns mit unserem hoffenden Ja aufrichten. Wir können, dürfen, ja sollen die Hoffnung und Zuversicht und das Vertrauen in das Wirken des Menschensohnes zu unserer Körperhaltung machen.

Ich habe das Gefühl, dieses Evangelium passt zum gegenwärtigen Geschehen wie der passende Deckel zum richtigen Topf. Gerade heute können wir uns das, was Jesus sagt, zu Herzen nehmen und damit unsere Hoffnung nähren.

Nützen wir jede Gelegenheit, um in den Himmel zu sehen. Dort spannt sich eine unendliche Weite auf. Der Himmel klärt sich nach jedem Gewitter, nach jeder Regenfront, auch der Nebel wird den Blick auf das Blau wieder freigeben. Oft sehen wir in Nebelzeiten gerade in der Nacht den schönsten Sternenhimmel. Machen wir das Vertrauen in das Klären des Himmels zum Vertrauen in das Heute. Vertrauen wir darin, dass sich viele Diskussionswogen wieder glätten werden. Vertrauen wir, dass sich die Situation in den Krankenhäusern wieder entspannen wird und dass allen Erkrankten geholfen wird.

Machen wir unsere Hoffnung und unser Vertrauen von außen erkennbar, indem wir uns aufrichten und von unserer Hoffnung erzählen.

 

Jedes Gewitter hat ein Ende. Und auch tiefe Gräben sind überwindbar. Wir können uns getrost in dieser christlichen Grundbotschaft betten- Und wir können sie hoffnungs- und vertrauensvoll weitererzählen!

 

 

Fürbitten:

- Heilender Gott, wir bitten dich für die Menschen, die gerade krank sind. Sei ihnen gegenwärtig, steh ihnen bei in ihrem Leiden und ihrer Angst, unterstütze ihr Gesund-Werden. 

Hörender Gott, radikaler Widerstand ist oft ein Zeichen dafür, dass sich Menschen nicht ernst genommen fühlen. Wir bitten dich für die Menschen, die sich gewaltsam Gehör verschaffen wollen: Stärke sie in ihrem Selbstwert und zeige ihnen Möglichkeiten, ihre wahren Anliegen gewaltfrei auszudrücken.

- Teilender Gott, zurückgeworfen in unsere eigenen Häuser und Wohnungen und allein mit unseren eigenen Nöten vergessen wir schnell auf die Nöte unserer Mitmenschen. Stärke unser Verlangen, uns einander mitzuteilen und füreinander da zu sein. 

- Gebender Gott, so viele Kinder, Frauen und Männer leiden physischen oder psychischen Hunger oder müssen sich in Kriegen oder Konflikten um ihre körperliche Unversehrtheit sorgen. Zeige uns Möglichkeiten, Hungernden, Leidenden und Flüchtenden zu helfen. 

- Handelnder Gott, Machthaber und Oppositionelle in der Politik sind auf der Suche nach Wegen, um von möglichst vielen Menschen gewählt zu werden. Hilf ihnen, dass sie langfristig denken und für ein gutes Wertesystem einstehen, das sie in ihrem Handeln geleitet. Du Gott des Lebens…

- Liebender Gott, immer wieder ist es die Liebe, die Gräben und Ängste zu überwinden vermag. Stärke unsere Liebe. 

 

 

Danke, Gott des Lebens, dass du uns nah bist in unserem Bitten und Danken. 

 

Segen:

 

Guter Gott,
In unserer Angst segne uns und sei bei uns als das Licht unseres Glaubens, das das zwielichtige Dunkel ausleuchtet.
In unseren Konflikten segne uns und sei bei uns als das Licht, in dem wir einander trotzdem immer wieder liebevoll begegnen.
In unseren Krisen segne uns und sei bei uns als das Licht am Ende des Tunnels, das uns Kraft zum Weitergehen gibt.
In unseren Beziehungsabbrüchen segne uns und sei bei uns als das Licht, durch das wir den Anderen wieder neu sehen können.
Im Auf und Ab unseres Lebens segne uns und sei bei uns als das Licht, das in den Tälern besonders hell leuchtet.
In all dem Schönen und Guten und Hellen und Freudigen segne uns und sei bei uns als das Licht, das uns Dich erkennen lässt.

So segne uns der drei-eine Gott, der Vater, der Sohn und die heilige Geistkaft

Gesprächsangebot

Die Wahrheit – in meinen Augen – ist,
dass die Gräben innerhalb unserer Gesellschaft gerade wie unter einem Brennglas zu Tage treten.
Wir streiten heftiger denn je oder verstummen sogar, die Beziehungen untereinander aufgebend, da uns die Tagesthemen Corona-Virus und Impfung gegen denselben jede*n einzelnen von uns in irgendeiner Weise persönlich betreffen. Wir können nicht heraus aus dem Thema, da es nicht um Entscheidungen geht, die unser Leben eventuell in Zukunft beeinflussen könnten (wie es zum Beispiel bei der Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen wäre), sondern um eine weltweite pandemische Situation, in der wir alle seit eineinhalb Jahren gefangen sind.

 

Die Wahrheit – in meinen Augen – ist,
dass wir als Gesellschaft jetzt gerade auf die Probe gestellt werden. Sind wir fähig, trotz ganz unterschiedlicher Weisen, nach Informationen für unsere Entscheidungen zu suchen, trotz unserer emotionalen Involviertheit, trotz der anhaltenden Pandemie-Dauer, in der sich unsere Ansichten noch weiter verhärten konnten, einander zuzuhören, einander ernst zu nehmen, uns in unseren unterschiedlichen Meinungen wertzuschätzen? Sind wir fähig, miteinander im Gespräch zu bleiben und uns die Aussagen unseres Diskussionspartners zu Herzen zu nehmen? Oder sind unsere Herzen schon verschlossen?

 

Die Wahrheit – in meinen Augen – ist,
dass sich Impfgegner in ihrem Aufstand gegen eine politische Verleumdung und Verschwörung bestätigt fühlen durch Impfpflicht hinter vorgehaltener Hand – eine anscheinend moderne politische Strategie, bei der es an Ehrlichkeit und Durchsetzungsvermögen mangelt und die wohl einfach opportunistische Wählerbefriedigung im Fokus hat -,
dass sich Impfskeptiker schon die Ohren zuhalten, um sich Überredungsversuchen oder gar moralischen Vorwürfen nicht mehr aussetzen zu müssen,
dass Impfbefürworter auf dem moralisch höheren Ross zu sitzen glauben, da sie gewiss sind, mit der Impfung nicht nur sich selbst geschützt, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernommen zu haben.

 

(Offenlegung: Ich selbst befürworte die Impfung gegen Covid. Mir wäre es tatsächlich am liebsten, würden sich noch viel mehr Menschen impfen lassen. Ich weiß nicht, wie und warum dieses heimtückische Virus entstanden ist, ich trete aber dafür ein, hier nicht die Herkunftsforschung sondern die Handlungsforschung, also eine uns Menschen das Leben wieder verschönernde Bewältigung des Virus, voranzutreiben und die Pandemie möglichst schnell zu beenden. Ich glaube an die Wirksamkeit der Impfung in diesem Zusammenhang.)

 

Die Wahrheit - in meinen Augen - ist,
dass es uns als Gesellschaft an etwas mangelt: An Mut, sich Diskussionen zu stellen – nicht nur als verhärtete unnachgiebige Front, sondern als neugieriger Gesprächspartner, der mit Interesse auf die eigene, durch die Diskussion angeregte Entwicklung blickt. An Bereitschaft, sich empathisch auf eine andere Meinung ein und Gespräche in einem selbst nachwirken zu lassen. An Liebe, die sich von gegensätzlichem Denken nicht stören lässt und die sich selbst als letztes Wort in den Mittelpunkt stellt.

 

Die Wahrheit - in meinen Augen - ist,
dass wir uns tagtäglich für oder gegen eine derart mangelhafte, die Gräben zu überwinden unfähige Gesellschaft entscheiden können.

 

Die Wahrheit - in meinen Augen - ist, dass uns jetzt nur unser wertschätzender Blick auf unsere Mitmenschen und auf deren Beweg- und Entscheidungsgründe und unser herzoffenes Einbringen in die großen Fragen unserer pandemischen Zeit weiterhelfen können.

 

Das ist die Wahrheit – in meinen Augen. Wie sieht die Wahrheit für dich aus?

 

 

 

Zur Segensverweigerung für homosexuelle Paare

 Leserbrief zu „Ein Schlag ins Gesicht“ von Otto Friedrich, Furche 18. März 2021

 

Als Pastorale Mitarbeiterin fühle ich mich durch die Aussage der Glaubenskongregation, gleichgeschlechtliche Verbindungen seien sündhaft und daher sei ihnen ein kirchlicher Segen zu verweigern, tatsächlich so, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen. Wir alle, die wir in der katholischen Kirche ehren- oder hauptamtlich mitwirken und/oder uns als Teil der Kirche wahrnehmen, SIND das Gesicht der Kirche. Wir haben tagtäglich für „unsere“ Kirche einzutreten. Ein mittlerweile verwundetes kirchliches Gesicht dem Außen zu zeigen fällt immer schwerer.

In gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geht es um nichts weniger als um die LIEBE! In dem Wirken Jesu ging es um nichts weniger als um die LIEBE – und er kämpfte für die Liebesfähigkeit der Menschen auch gegen Widerstände! Wir als katholische Kirche sollten uns daher dazu berufen fühlen, der (wie auch immer geschlechtlichen) Liebe zweier Menschen zueinander und deren Entscheidung füreinander kirchlichen Lebens- und Segensraum zu bieten. Liebespaare sollten sich in ihrer gegenseitigen Zusage, ihrem Ja und ihrer Treue zueinander von uns als Kirche unterstützt fühlen!

In dem Dekanat, in dem ich arbeite, erlebe ich tagtäglich eine Kirche, die uns Menschen offenherzig begegnet und uns in unserem Lieben stärkt. In einer solchen Kirche wird spürbar, dass Gott die Liebenden segnet, und zwar ohne Unterlass und ohne Unterscheidung zwischen homo und hetero.